"Warmschillerwelz zu verkaufen!"
"Der See im Glas" - so hieß mal ein Aquariumbuch von Wolf Durian in den Fünfziger Jahren - das wichtigste und schönste Aquarienbuch, das ich je gelesen habe.
Dieses Buch stand in seiner Erzähltechnik und der damit verbundenen Begeisterung, die es bei mir hervorrief, den Abenteuerbüchern "Die Schatzinsel" und "Der letzte der Mohikaner" in nichts nach! Wenn ich mal wieder ein oder zwei Kapitel verschlungen hatte, musste ich unbedingt danach in eine Aquarienhandlung gehen und mit großen Augen die bunten hin- und herschwimmenden Fische betrachten und ob darunter vielleicht einer der Fische war, über den ich gerade eine spannende Geschichte gelesen hatte. Die Zoohändler der damaligen Zeit kannten das alle, dass mit dem Klingeln des Türglöckchens ein paar Jungen hereinkamen mit dem Satz "Wir wollen nur mal kucken". Ich rieche heute noch den Geruch der Vogelhirse, wenn ich an das Dunkel der vielen kleinen Welten unter ihren Neonlampen denke...
Heutzutage, viele Jahrzehnte später, finde ich hier in der Großstadt Berlin nur noch sehr selten solche kleinen Aquaristik-Läden, inzwischen gibt es die großen Futterhäuser mit Aquaristik-Abteilung. Wenn die dann kompetentes Personal haben, ist meine Welt auch in Ordnung. Größtenteils zumindest.
Klar, diese Läden halten sich nur durch streng marktorientierte Verwaltung erfolgreich am Kleintiermarkt, oder wie das heutzutage heißt. Der Verkäufer in meinem Lieblingsmarkt ist aber zumindest ein kompetenter Mann, auch und gerade was die Aquaristik betrifft, er ist selber passionierter Aquarianer. Die Bewohner in den langen Reihen der Aquarienregale richten sich überwiegend nach dem jeweiligen Trend - sprich, das Angebot ist dazu da, um die Nachfrage zu decken. Aber es ist immer wieder mal Platz für irgendeine Rarität die dann darauf wartet, dass ein Spezialist für Besonderheiten sich ihrer annimmt.
Wenn man an den Becken entlanggeht, erkennt man schnell, welche Fische stark im Trend liegen, und welche weniger. Farbe, Form, Größe und vielleicht noch Verhalten wecken - wie früher - das Interesse der potenziellen Käufer.
Ich befürchte aber, dass sich die Kundschaft im Vergleich zu früher geändert hat. Wir konnten als Kinder damals natürlich kein Latein, haben aber sehr wohl registriert, dass jede Fischart einen zweiteiligen lateinischen Namen hatte - den wissenschaftlichen Namen. Und da wir neugierig waren, wollten wir möglichst viel über unsere Lieblingsfische wissen und natürlich auch, wie man sie richtig hält. Da halfen die Namen schon ganz gut beim Nachstöbern in Aquarienbüchern. Ich weiß noch, dass ich ganz stolz war, als ich endlich Xiphophorus helleri und Pterophyllum scalare aussprechen konnte und auch wusste, welche Fische das (auf Deutsch) waren.
Selbstverständlich kauften wir im Laden aber ein „Schwertträger-Männchen“; das mit den lateinischen Namen hat keiner gemacht. Jeder wusste, was gemeint war. Bei Bedarf wurde zur genaueren Bestimmung eben „rotes Schwertträger-Männchen“ gesagt. Von bestimmten Gattungen wurden damals nur eine Art importiert und verkauft, und man kaufte dann Panzerwelse oder Kampffische. Panzerwelse waren Corydoras paleatus und Kampffische waren Betta splendens. Dass es von diesen Gattungen noch sehr viele verschiedene Arten und Unterarten gab, kam erst Jahre später heraus.
Nun befinden wir uns ja schon länger im Computerzeitalter und ich schaue heutzutage öfter mal online bei Kleinanzeigen/Fische rein, weil es da hin und wieder ein Schnäppchen oder eine sonst schwer zu findende Art von privaten Züchtern gibt. Wenn man dann zwangsläufig die ganzen Reihen der Annoncen durchblättert, stehen mir aber manchmal die Haare zu Berge: (Original-Schreibweisen hier kursiv wiedergegeben!)
Einer bot „Panzerwelse“ an und ich schrieb zurück "welche Art denn?" Ich hoffte natürlich, dass er mir mitteilt, ober er Corydoras paleatus oder Corydoras trilineatus oder Corydoras sterbai oder Corydoras barbatus oder Corydoras gossei verkaufen möchte. Antwort: "Na Panzerwelse eben, können Sie nicht lesen?!" Dann gingen noch zwei/drei Mails hin und her, in denen er mir klarmachen wollte, dass ich keine Ahnung habe! Gut, man könnte ja die Masse der Angebote einfach überfliegen, bis man dann die eine oder andere entdeckt hat, die einen interessiert, aber ich kann einfach nicht verdrängen, wenn sich mir der Magen umdreht! Was dann da manchmal angeboten wird: Ein Warmschillerwälz (Original “Wabenschilderwels“), Bundbarsche (Der Name kommt von „Bunt“), Scheibenknutscher, Schwarmfische aus Einzelhaltung, Wels-Hybriden und Mopsköpfe (Fehlbildung des Schädels). Auf vielen Fotos ist so gut wie nichts zu erkennen (außer der verdreckten Frontscheibe ihres Aquariums), oder sie klauen Bilder aus dem Internet. Die Anwendung der Namen stützt sich vielfach nur noch auf phonetische Grundlagen. Beispiel für Aquarienzubehör: „Ich verkaufe diese aksesuar...“ Die korrekte Rechtschreibung gehört eben inzwischen auch zu den bedrohten Spezies: „Ich biete hirmit mein 2224ausenfilter an ist dicht hatte ihn foher an ein meter becken dran der pauert für 700lieter.“ Oder das hier: „Verkauf lustie klein Silberfischchen die mein Freund geschenkt gekrigt hatt. Passen irgentwie nicht von die Farbe zu unseren übrige besatz. Ca. 100 stuck forhanden. Preiß pro stuck 5€ .“
Außerdem habe ich das Gefühl, dass manche Leute versuchen, mit jedem Mist Geld zu verdienen („1 Tasse Entengrütze für 1,- €“). (Entengrütze ist sozusagen das Unkraut in den Aquarien. Es ist nicht einfach, dieses wieder loszuwerden, wenn man es sich einmal „eingefangen“ hat!) Und immer wieder „Gubbies“ (statt Guppys) und „Neongubbies“ (was das sein soll weiß ich immer noch nicht).
Manche Annoncen verstehe ich nicht: „Ich suche mollys zu verschenken Egal welche Hauptsache mollys.“ Oder die hier: „Aquarium mit 16 Fische 60 L Aquarium mit alles drum und drann Ink. 16 Fische + Ein große untertisch.“ Oder was ist hiermit gemeint?: " Zwei große barsche pärchen nur zusamen 25cm große."
Man bekommt inzwischen im Normalfall keine genauen Auskünfte mehr über die Fischarten, die da angeboten werden. Buntbarsche sind da eben Barsche, evtl. noch „solche mit blauen Streifen“, mehr ist nicht bekannt. Hunderte verschiedene Welsarten heißen „Scheibenknutscher“ und es ist den Fischhaltern bestimmt auch egal, was sie da nun für eine Art haben.
Mein Gesamteindruck ist inzwischen der, dass viele Aquarianer einfach nur Fischhalter sind, und nach was-weiß-ich für Kriterien beim Fischkauf gehen. Liebe zum Tier unterstelle ich da erstmal vorsichtshalber nicht. Sie kaufen die Fische aus Prestigegründen, oder weil sie einen lebenden Fernseher haben wollen.
Die deutschen Bezeichnungen der Fische werden wohl auch im Hinblick auf das Ködern der Kunden gewählt: Haiwels, Torpedobarbe...
Dann gibt es ein paar Mutationen, die den Fischen das normale Verhalten deutlich erschweren, die aber für bestimmte Fischhalter vermutlich spektakulär aussehen: extreme Flossenverlängerungen („Schleier“) beispielsweise - das geht schon in Richtung Qualzuchten.
Und wenn es irgendwie zu machen ist, „verwandelt“ man ganz normale Fische aus verkaufstaktischen Gründen in besondere Fische: „Pterophyllum spec. Peru blau" aus Peru heißt beim Händler „Peru Altum“, obwohl diese Art mit Pterophyllum altum gar nichts zu tun hat. Aber - die Kunden wissen das ja nicht und zahlen dann gerne etwas mehr als für einen „schnöden“ Skalar.
Meine Panzerwelse „Corydoras aeneus black“ habe ich stark überteuert kaufen müssen, weil schon der Großhändler meines Händlers sie falsch in seiner Stockliste angeboten hatte, nämlich als die Art „Corydoras venezuelanus black“, die eigentlich gar nicht oder höchst selten importiert wird. Ich glaube nicht, dass das ein Versehen oder ein Druckfehler in der Stockliste gewesen ist! Der Markt gestattet offenbar heutzutage zunehmend Unwahrheiten zugunsten des Profits.
Die größten Unwissenheiten übrigens, bekomme ich immer wieder über die Bedeutung der Filterung eines Aquariums mit. Da schleicht sich automatisch das Wort „Saubermachen“ ein. Das Aquarium hat gefälligst sauber und ordentlich auszusehen! Auch der Filter und das darin enthaltene Filtermaterial muss dabei natürlich gründlich gereinigt werden. In Wirklichkeit ist es aber so, dass sich in länger unberührten und auf keinen Fall gesäuberten Filtermedien diejenigen Bakterien ansiedeln, die für die Umwandlung des giftigen Nitrits aus den Ausscheidungen der Fische in ungiftiges Nitrat unbedingt benötigt werden. Es ist den meisten Fischhaltern (nach meinen Erfahrungen) gar nicht bekannt, dass es beim Thema Filterung um ganz andere Dinge als um Reinigung des Aquariums geht, und dass ein „schmutziges“ Aquarium eher ein gesundes Aquarium ist. Die Einfahrzeit von vier Wochen ohne Fischbesatz (weil sich die benötigten Bakterien in dieser Zeit erstmal vermehren müssen) lassen sich viele ja noch widerstrebend einreden, obwohl sie es wahrscheinlich nicht so richtig verstehen. Viel eher kaufen sie irgendwelche Starterchemikalien, die die Wartezeit, bis endlich die Fische im Wohnzimmer zu bewundern sind, fast auf Null verkürzen.
Der Verkäufer in meinem Lieblingsmarkt und ich lächeln inzwischen wissend, wenn Samstags bei ihm Großkampftag ist.
Wenn potenzielle Kunden nach einer kleinen, süßen „Prachtschmerle Chromobotia macracanthus“ fragen, die im ausgewachsenen Zustand schon mal eine ansehnliche Größe – ungefähr wie eine Tischtenniskelle - erreicht und auf jeden Fall immer (!) im Schwarm gehalten werden muss, fragt er prinzipiell zurück nach der Beckengröße, und erzählt dann etwas über Endgrößen und Schwarmfische. Und er sagt ihnen, wenn mal etwas überhaupt nicht geht.
Zum Beispiel ein niedliches Jungtier des (riesengroß werdenden) „Wabenschilderwelses Pterygoplichthys gibbiceps“ für ein 30er Becken!