Hallo liebe Foris und Gäste,
ich möchte Euch in diesem Beitrag eine der Aktivitäten der Fachgruppe Meeresaquaristik Berlin Brandenburg vorstellen, die seit weit über 50 Jahren begann und noch heute zu den Höhepunkten unserer kleinen Truppe gehört. Die Tradition ist ungebrochen und wird auch 2018 stattfinden. Ich weiss, die wenigsten werden mit Seewasser etwas anfangen oder wollen. Dennoch finde ich, gehört das in ein regionales Forum wie diesem hier.
Und falls jemand Lust hat, mal so etwas mitzuerleben, der sei herzlich eingeladen ein paar zwanglose Tage dabei zu sein - auf der Ostsee Exkursion, die liebevoll die OSEX genannt wird.
Langzeituntersuchungen im Bereich der Wismarbucht
Als unsere Fachgruppe 1957 gegründet wurde, bekam man wenige Tiere. Die einzigen Quellen waren Müllegger in Büsum, ein alter Freund von T. Kielreuther aus der Vorkriegszeit. In Westberlin G. Pietschonka – Lichterfelde, hier gab es Nordsee- und Mittelmeertiere, später auch Korallenfische z.B. kleine Riffbarsche. Das war teuer; der Wechselkurs betrug 1:4 – 1:5. So haben wir uns schon bald um die Tiere der Ostsee gekümmert. Die Beschaffung war günstiger und billiger und man konnte es mit seinem Urlaub verbinden und es waren die gleichen Arten. Zuerst fingen wir mit Brille und Flossen gezielt am jeweiligen Urlaubsort; allerdings war das wenig effektiv. Etwas später wurde mittels Dredge und Schiebekäscher gefangen.
Auf der Suche nach günstigen Fangplätzen sind wir dann 1962 auf Timmendorf, Insel Poel gestoßen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Im Hafen war auch bei schlechten Wetter und nachts ein Fang möglich und Erfolg versprechend. Die Hälterung der Tiere erfolgte mit Setzkäschern am Steg, idealerweise war der Zeltplatz direkt neben dem Fangort.
Wir kamen an einem ziemlich stürmischen Tag am 22.9.1962 und fingen in den Seegraswiesen zu fischen an. Auf Anhieb fingen wir an der inneren Mole Grundeln, Seesterne, Seenadeln, Seehasen und Aalmuttern. Dabei waren auch ein Klippenbarsch, einige Flundern und eine Palaemon squilla. Seestichlinge und Seescorpione gingen leider nicht ins Netz.
Nachdem wir nun regelmäßig im September nach Timmendorf fuhren, stellten wir fest, dass es nicht in jedem Jahr die gleichen oder ähnliche Fangergebnisse gab. So kamen wir 1975 auf die Idee an Hand einer Liste zu dokumentieren, welche Tiere in welcher Menge gefangen wurden. Für die ersten Jahre 1962-1974 liegen daher nur sporadische Aufzeichnungen vor. Es handelt sich um Tiere, die mit nach Berlin genommen wurden.
Die Methode mit der wir den Bestand ermittelten ist auf Grund der Zielsetzung unserer Exkursionen nicht besonders wissenschaftlich, da nur an einem Wochenende gefangen wurde und das Wetter ebenfalls eine große Rolle spielt. Ein weiterer, viel zu großer Einfluss waren die unterschiedliche Teilnehmerzahlen und die Intensität mit der gefischt wurde. Der Ehrgeiz bestimmte Tiere zu fangen war in den ersten 20 Jahren größer als in den folgenden Jahren. Außerdem waren wir jünger und konnten noch stundenlang im kalten Wasser stehen.
In den letzten Jahren fischten wir fast nur noch mit der Dredge, die dann am Strand geleert und die Tiere dann dort sortiert und gezählt wurden. Trotz steigender Teilnehmerzahlen wurde immer weniger gefischt. Als Ausgleich hat sich die Aufenthaltszeit auf der Insel verlängert; man konnte dann auf „schöneres“ Wetter warten.
Als 1997 der Hafen ausgebaggert und zur Marina umgebaut wurde, stand er uns lange Zeit für Tierfänge nicht mehr zur Verfügung. Das war nicht weiter schlimm, denn nur noch wenige Tiere wurden mitgenommen, da sich nur wenige für die Kaltwassertiere interessierten und lediglich als Futter interessant waren.
Die Ergebnisse sind eine Sammlung von Daten, die man einordnen kann. Wir haben die Tiere in erster Linie nach ihrer systematischen Zugehörigkeit zusammengefasst.
Die Einteilung erfolgte nach der Gruppierung Zehnfußkrebse, Schlangen- und Seenadeln, Grundeln, Plattfische, Stichlige, diverse Fischarten wie Seehase, Seescorpion und Aalmuttern.
Die Schlussfolgerungen
Anhand der Fangergebnisse lassen sich Rückschlüsse ziehen, welche Arten man mit großer Wahrscheinlichkeit fangen kann, bei welchen Arten man mit Ausdauer fischen muss und welche Arten zu den Seltenheiten zählen. Warum Tiere regelmäßig zu fangen sind oder in manchen Jahren fehlen, lässt sich nicht ableiten. Hier kann man nur spekulieren!
Gründe dafür könnten sein: Salzwassereinbrüche aus der Nordsee, Wetterbedingungen (Wind, Wellen) oder Wassertemperaturen. All das führt zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Anm. D. Schönfelder: Es fehlt noch die Artenverschleppung.
Bei den Krebsen fällt auf, dass die Strandkrabbe seit 1975 in ihrem Bestand abnahm. Sie wurde in vielen Jahren nur selten gefangen. Sie fehlte in den Jahren 1980-1982, 1986-1990 und 1996 -1997. In großen Mengen kann sie nur noch 1984 und 1993, 1994 vor. Die Fischer behaupten, dass in Jahren mit vielen Dorschen wenige Strandkrabben vorhanden sind.
Das Vorkommen der Großen Felsengarnele Palaemon elegans in der Ostsee wurde oft in Frage gestellt. Tatsache ist, dass wir sie bis auf wenige Ausnahmen 1982, 1987-1989 und 1997 immer gefangen haben. Das lag sicher auch daran, dass wir besonders nach ihnen gesucht haben; Abends im Hafen mit der Taschenlampe. Daher auch 1997 kein Erfolg, als der Hafen ausgebaggert wurde. Leider haben wir nicht vermerkt, ob es sich um Jungtiere oder adulte Tiere handelte. In den letzten 15 Jahren (Anm. D. Schönfelder: Bericht stammt aus dem Jahr 2000) als besser darauf geachtet wurde, waren es oft nur Jungtiere. Erst im letzten Jahr konnten 3 Weibchen mit Laich gefangen werden. Sie wurden als Belegexemplare von Heinz Schöne dem Berliner Naturkundemuseum übergeben. Die alte Theorie, dass die mit Ballastwasser eingeschleppten Tiere nicht fortpflanzungsfähig sind, konnten wir durch die Aquariumhaltung bei einer Dichte von 1.012 durch deren mehrfaches laichen und der erfolgreichen Aufzucht wiederlegen.
Aus praktischen Gründen hatte sich bei uns eine „vereinfachte“ Nomenkatur eingebürgert.
Als Beispiel die Sandgarlene Crangon crangon, Schwimmgarnelen Palaemonetes varians und Palaemon squilla als „richtige“ oder Palaemon elegans als „gute“ Garnelen...
Da der Unterschied zwischen P. varians + P. squilla nicht so auffällig sind, haben wir mal 1994 als es sehr viele Jungtiere gab, über 100 Tiere bestimmt und sind dabei auf ein Verhältnis von 1:1 gekommen.
Die Seenadeln: Die Grasseenadel Sygnathus typhle wurde ausnahmslos in jedem Jahr mehr oder weniger häufig gefangen. Seltener in den Jahren 1976-1985. Die Kurzschnäuzige Seenadel Sygnathus rostellatus wurde selten gefangen. Ausnahmen waren die Jahre 1984, 1989, 1991, in denen sie regelmäßig im Netz war.
Stichlinge sind stets vorhanden (bis auf unsere erste Exkursion). Besonders auffällig waren Rückgrat Verkrümmungen beim Seestichling Spinachia spinachia. In manchen Jahren traten sie häufig auf, aber dann auch wieder nicht. 1994, nach dem heißen Sommer, waren besonders viele verkrüppelt. Gleichzeitig wurden auch viele tote Strandkrabben angespült.
Die 3- und 9-stachligen Stichlinge waren in den 70iger Jahren noch gleichmäßig verteilt, dann hat langsam der Anteil der Neunstachligen Stichlinge zugenommen. Ausnahmen waren die Jahre 1989, 1993 und 2000, in denen die Neunstachler selten waren.
Plattfische: Flundern und Steinbutte waren bis 1986 regelmäßig gefangen worden. Mal mehr, mal weniger, dann fehlten die Butte 2 Jahre bis auf eine Ausnahme 1995, danach sind sie nur noch selten oder fehlend. Nachdem auch die Flundern seltener wurden haben wir von 1990-1998 keine mehr gefangen, erst in den letzten Jahren waren sie wieder regelmäßig im Netz. Seezungen wurden immer in unregelmäßigen Zeitabständen gefangen und wenn, dann auch nur vereinzelt, die letzten 1992.
Grundeln: Die Schwimmgrundel Gobius flavescens ist immer in der Aquarienhaltung sehr empfindlich gewesen. Sie war bis 1976 noch regelmäßig meist in Schwärmen zu beobachten. Dann traten große Schwankungen in ihrem Vorkommen auf; entweder fehlten sie ganz oder sie waren selten zu fangen. Ausnahme 1981, 1984, 1989 regelmäßig vorkommend.
Im Gegensatz dazu hat der Bestand der Schwarzgrundel Gobius niger zugenommen. Sie fehlte von 1976-1982, dann wurde sie stets in einigen Exemplaren gefangen, erst in den letzten Jahren wieder seltener und in den Jahren 1996, 1998-1999 fehlte sie ganz.
Besonders in den Jahren nach der Wiedervereinigung 1990-1991 besiedelte sie mit Vorliebe Bierbüchsen. 1991 waren im Hafen von 3 Getränkedosen 2 mit Gobius niger besetzt. Sand- und Strandgrundeln sind immer, mehr oder weniger stark, vorhanden.
Die für uns Aquarianer interessanten Fischarten, zu denen auch die Aalmutter zählt, wurde regelmäßig gefangen, oft nur in geringen Stückzahlen. Gefehlt hat sie 1995-1998. Der Seescorpion Cottus scorpius wurde insgesamt selten oder gar nicht gefangen.
Typisch ist auch hier dass sich das Fangergebnis nach den Wünschen richtet. Als wir 1997 ein Belegexemplar benötigten (für die Buchreihe Meer und Museum) waren wir auch erfolgreich nachdem wir seit 10 Jahren keinen mehr fingen. Das heißt, dass die Fische, die als fehlend angegeben werden, dennoch vorhanden waren, wenn auch selten.
Die Seehasenbabys sind allgemein regelmäßig bis dominant. In den Jahren 1991-1995 waren sie selten oder fehlten ganz. 1996 waren sie wieder dominant und fehlten 1997. Sie fehlten neben vielen anderen Arten auch 1982 nach dem sogenannten Jahrhundert Sommer.
Seesterne und Seescheiden sind vor Timmendorf selten zu finden. Seesterne werden von den Fischern gelegentlich als Beifang mitgebracht und landen so im Hafen. Meistens werden sie dann von Urlaubern gesammelt und getrocknet. 1978 wurden massenhaft kleine Seesterne von den Fischern mitgebracht (sonst haben wir sie in der Wohlenberger Wieck gesammelt). Nach dem Orkan 1985 wurden 2 Seesterne und 9 Tunicaten im Spülsaum gefunden.
Fische die überhaupt nicht mehr gefangen wurden (seit Einführung unserer Statistik) sind der Butterfisch und der Klippenbarsch. 1965 konnten noch über 15 Exemplare gefangen werden. Außerdem der Schwarzäugige Lippfisch Cr. Melops. Später wurden nur noch 1979 zwei Klippenbarsche gefangen.
Wie aus dem geschriebenen zu entnehmen ist:
- durch unsere Erfassungsmethode sind wir von vielen Zufällen abhängig
- es ist nur eine Momentaufnahme für ein jeweiliges Wochenende im September
- Geprägt durch das Wetter, dem Wasserstand, den Wellen und durch den Ehrgeiz waren nur bestimmte Tiere zu fangen
Wir können aber sagen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, bestimmte Tiere zu fangen.
Bemerkungen und Besonderheiten
1962 stürmischer Tag, 1 Klippenbarsch, Seesterne, Seenadeln, Aalmuttern, G Grundeln, Flundern + P. squilla
1965 15 Stück Klippenbarsche C. rupestris, 9 Symphodus, 3 Stück Schwarzäugiger Lippfisch Cr. melops
1976 Kleine Strandkrabben am Sandstrand in Muschelkolonien (Knöcheltief)
1978 Seesterne massenhaft vom Fischer
1979 Müllers Zwergbutt
1980 Seesterne in der Wohlenberger Wieck häufig
1981 Seegras nimmt stark zu, fast nur Z. nana, Z. marina nur selten und macht einen kranken Eindruck, violette „Schwebealgen“ in Schlieren weit verbreitet: Wimperntierchen Mesodinium rubrum
1982 Mysis in riesigen Schwärmen, Jahrhundert Sommer, Blasentang nur Kümmerwuchs, Seegras im Rückgang,
1 Steinpicker vom Fischer Agonus cataphractus
1983 Blasentang wieder normal, Seegras wieder dichte Bestände
1985 Orkan, 2 Seesterne, 7 Tunicaten
1987 sehr wenige Muscheln, wahrscheinlich durch Eisgang im sehr kalten Winter rasiert
1988 Seegras fast abgestorben, im Hafenbecken keine Tiere zu sehen, wie ausgefegt
1989 2 Wochen vorher Orkanschäden, viele große Seehasen
1990 sehr große Seepocken im Hafen, Wasser sehr stark belastet
1991 Von 3 Bierbüchsen waren 2 von Gobius nieger besiedelt
1993 Seegraswiesen sind spärlicher als sonst und niedriger mit großen Lücken, an der Quermole wächst wieder Blasentang
1994 Sehr viele Seestichlinge mit Rückgrat Verkrümmung, tote Strandkrabben häufig angespült, P. varians: P.squilla 1:1, 5 kleine Dorsche beim Dretgen (3-5 cm) gefangen
1995 Hafenwasser extrem schmutzig, sehr viel abgestorbenes Seegras, es hat an einigen Tagen gestunken wie eine Kloake, aber viele P. elegans im Hafen. Große Wolken der Purpurroten Wimperntierchens Mesodinium rubrum
1996 Jungtiere von Sygnathus typhle massenhaft im Hafen
1997 Bauarbeiten im Hafen, kein Fang möglich
1998 Stichlinge selten, dafür Nachts im Hafen in Massen, genau so P. squilla, dagegen beim Dretgen nur 3 Stück, Nachts an Pfählen in großen Mengen
1999 Jungtiere von P. squilla
2000 3 erwachsene Weibchen von P. elegans mit Laich
Soweit der Bericht unseres leider verstorbenen Mitglieds Klaus Bischoff.
Die Liste der Fangergebnisse haben wir natürlich weiter geführt und weiterhin interessante Besonderheiten hervorgehoben. Auch wenn der Fang von heimischen Meerestieren nicht mehr der Antrieb ist um unsere Aquarien zu füllen, so sind die entspannenden Tage zu einem beliebten Ritual geworden und machen nach wie vor Freude.
LG Dietmar